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Verfahrensdokumentation im Bewusstsein von Steuerberatern und KMUs

Von Peter tom Suden

01.08.2008

Peter tom Suden

Peter tom Suden
Peter tom Suden ist Steuerberater. Er praktiziert in Göttingen und arbeitet daneben an Lösungen zur Organisation des Rechnungswesens in Klein- und Mittelunternehmen sowie an Modellen zur Kanzleiorganisation in kleinen und mittelgroßen Steuerberaterkanzleien Von 1993 bis 2004 war er Mitglied des Vorstands der DATEV eG.

In seinem Editiorial vom Dezember 2007 stellte Schmidt die These auf, die Nichterfüllung der Anforderungen von GDPdU und GoBS. wie beispielsweise die Nichtaufstellung einer Verfahrensdokumentation, sei nahezu risikofrei, weil die Betriebsprüfung sowieso nie kommt oder wenn, dann etwa alle 22 Jahre und weil die Sanktion wohl Schätzung sei, aber da müsse die Finanzverwaltung sich an die vorliegenden Unterlagen halten. In seiner Forums-Spitze vom Februar 2007 beklagte Stritter, dass es in Deutschland so gut wie keine Steuerberater gebe, die sich mit dem Thema Verfahrensdokumentation (VFD) auskennen. In der nachfolgenden Antwort geht es um dasselbe Ziel: die Darstellung der Notwendigkeit einer Verfahrensdokumentation sowohl in den sog. KMU als auch die Herbeiführung einer Begründung für die fast an Verweigerung grenzende Behandlung dieses Themas in Wirtschaft, Beratung und Finanzverwaltung. Zunächst wird die Schmidtsche These der Risikofreiheit bei Nichtaufstellung einer VFD beleuchtet, danach die Frage Stritters, warum Kompetenz der Steuerberater auf diesem Feld nicht so schnell zu finden ist.

 

Zur Risikofreiheit: Gerade ist der Monatsbericht des BMF Juni 2008 erschienen. Ab Seite 49 sind dort die Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung 2007 zu finden. Vorangestellt sei, dass es in Deutschland ca. 40.000 Steuerkanzleien gibt. Die Summe der Unternehmen in Deutschland lautet auf 8.3652.473 und teilt sich auf wie folgt:

 Unternehmen

Anzahl

Geprüft

In Prozent

Turnus (Jahre)

 Groß-

 169.843

 38.662

 22,8

 4,39

 Mittel-

 757.810

 59.068

 7,8

 12,83

 Klein-

 1.140.402

 44.735

 3,9

 25,49

 Kleinst-

 6.284.418

 70.910

 1,1

 88,63


Die 40.000 Steuerkanzleien in Deutschland betreuen so gut wie keine Großunternehmen, nur einen kleinen Teil der Mittelunternehmen, nämlich vielleicht 1/5 davon, undzwar den unteren Bereich, und im Übrigen betreuen/ beraten sie den grössten Teil der Kleinst- und Kleinunternehmen. Damit ist die These Schmidt erhärtet. Die GDPdU schreiben über die GoBS eine VFD vor. Großunternehmen haben diese, da eine VFD zum risk management gehört und über die Prüfung der compliance von den Wirtschaftsprüfern / vereidigten Buchprüfern im Rahmen der Abschlussprüfung verlangt wird. Für das „obere Ende“ der Mittelunternehmen gilt ein Gleiches. Für alle traditionell von StB betreuten Unternehmen kann gesagt werden, dass das Interesse an VFD sowie der Handlungsdruck auf diese Unternehmen in diesem Bereich sehr gering sind. Weder Berater noch Unternehmen beschäftigen sich intensiv damit. Es gibt hier einfach noch keinen „Markt“. Und das wird auch dadurch nicht geändert, dass die gezogene Vorsteuer durch Nichtvorhandensein einer VFD in Gefahr gerät. Denn erstens empfangen Kleinst- und Kleinunternehmen bisher allenfalls ihre Telefonrechnungen elektronisch und –bestes Unwissen- drucken die aus, heften die ab und buchen die Rechnung unter Vorsteuer-Abzug: und zweitens fragt in dieser Unternehmensklasse bislang kein steuerlicher Betriebsprüfer nach einer VFD.

Das wird nicht so bleiben, denn zum Einen steigt der Druck auf die Klein- und Kleinstunternehmen, elektronische Rechnungen zu akzeptieren; sowohl im Eingangs- als auch im Ausgangsbereich. Deren Kunden und Lieferanten müssen im Interesse der Aufrechterhaltung der eigenen Konkurrenzfähigkeit über die Nutzdaten, die der eRechnung mitgegeben werden, ihre eigenen Verwaltungsprozesse verschlanken. Und erst, wenn eine kritische Masse dieser Rechnungen im Bereich der KuK-Unternehmen überschritten ist, wird die Frage der Verfahrensdokumentation für eine Betriebsprüfung relevant.

13.646 Betriebsprüfer erzielten ein Mehrergebnis von 16.6 Mrd. €. Davon gingen auf

Grossbetriebe: 79%
Mittelbetriebe: 8%
Kleinbetriebe: 4%
Kleinstbetriebe: 5%

Wie attraktiv soll dann für die Finanzverwaltung die Prüfung eines Kleinstbetriebes oder gar die Verstärkung derer Prüfungsintensität sein? Das durchschnittliche Mehrergebnis eines Kleinstunternehmens bringt ca. 11.500 € in die Kasse. Interessant für die VFD bzw. deren Sanktion „VSt-Abzug versagen“ ist auch, dass die USt mit 1,6 Mrd. € nur 10% am Gesamtanteil des BP-Mehrergebnisses ausmacht. Eine Verkürzung des Prüfungsturnus bei KuK-Unternehmen bringt vermutlich nicht so viel ein, wie es kosten würde. Eine Versagung des Vorsteuer-Abzugs ist wegen der aktuell geringen Zahl elektronischer Rechnungen in KuK-Unternehmen sowie deren Vorsteuer-Volumina ein sehr stumpfes Schwert. Zudem bestehen ausreichend Heilungsmöglichkeiten. Damit könnte man sagen: Bedauerlicherweise hat Schmidt mit seiner provokant gemeinten These recht. In den nächsten Jahren bleibt die Nicht-Aufstellung einer VFD für Kleinst- und Kleinunternehmen folgenlos.

Mit dem selben Zahlenmaterial lässt sich auch auf Stritter antworten: Warum wissen die Steuerberater so wenig um die Verfahrensdokumentation? Antwort: Weil es sich nicht lohnt. Es gibt für eine Beratungsleistung einfach noch keinen erkennbaren Markt.

Warum ist das so? Steuerberater betreuen in aller Regel Klein- und Kleinstunternehmen. Sie beraten vornehmlich in Steuerfragen, und ihre Klientel akzeptiert auch nur die Angebote der Steuerberatung; noch selten wird Unternehmensberatung nachgefragt. Das compositum mixtum von Themen zur eRechnung oder zur VFD: „internes Kontrollsystem“, „Verfahrensdokumentation“, „GDPdU/ GoBS“, „schlanke Verwaltungsprozesse“, „integrierte Abläufe“, „digitale Betriebsprüfung“, „Verbesserung der rating note“, „Integration in Partnerprozesse“ kommt in dieser Klientel schlicht nicht vor. Und wenn es in den nächsten Jahren doch vermehrt nachgefragt werden sollte, dann kommt die BP noch einmal 4 Jahre später; bei 3,9% (Klein-) bzw. 1,1% (Kleinstmandanten). Da die Diskussion der VFD nicht loskommt von steuerlichen Themen, insbesondere vom Vorsteuer-Abzug, wird sie für KuK-Unternehmen auch im Laufe der Zeit nicht interessanter. Ein Steuerberater hat aber einen harten Arbeitsalltag und überhaupt keine Zeit, Themen anzugehen, für die sich seine Mandanten nicht interessieren. Und im Übrigen hat die Heerschar der Verkäufer von Software zur Erstellung von VFD`en bei den KuK-Unternehmen und ihren Beratern auf ganze Linie komplett versagt. Jede mir bekannte Veranstaltung der letzten Jahre war ein „Unternehmen Schlagwasser“. Es ging nur und ausschliesslich um die BP und die Sanktionsdrohungen der Finanzverwaltung. Damit aber verkauft kein Mensch auch nur irgendein Stück software. Bisher dachte ich, die Zeiten des Ablasshandels seien längst vorbei; inzwischen weiss ich, dass man sogar dahinter zurückgefallen ist: man wird missioniert, und ich enthalte mich zu sagen: auf Teufel komm raus.

Der einzige erkennbare Hebel, der Aussicht auf Erfolg verspricht, ist der zunehmende Druck auf KuK-Unternehmen, künftig elektronische Rechnungen zu erstellen (damit der Kunde seine integrierten Verwaltungsprozesse laufen lassen kann) oder zu empfangen (damit der Lieferant seine integrierten Verwaltungsprozesse laufen lassen kann). Und hier lohnt ein Blick in die „Bonpago-Studie: Aktueller Stand, Trends und Verbesserungspotenziale bei Finanzprozessen in deutschen Unternehmen 2007“. Die Kernaussagen sind:

  • das Verständnis für die Ganzheitlichkeit und Komplexität der Finanzprozesse steckt noch in den Kinderschuhen
  • innerhalb der Finanzprozesse finden sich sehr viele Verbesserungsmöglichkeiten
    • in der Rechnungsbearbeitung
    • in der Reklamationsbearbeitung
  • die Bearbeitung einer Rechnung kostet zwischen 22,74 und 6,74 €, je nachdem. ob die Rechnung papiergebunden oder elektronisch hereinkommt
  • die Bearbeitung einer Rechnungsreklamation kostet auf jeder Seite papiergebunden ca. 125 €, ohne Papier ca. 25 €
  • innerhalb der nächsten 5 Jahre erwarten die Unternehmen einen Anteil elektronischer Rechnungen von 55% (heute bei ca. 8% in allen Unternehmen, bei ca. 2,5% in KuK-Unternehmen.
  • die Bedeutung des Managements des working capital wird zunehmen (pts: gilt das auch für KuK-Unternehmen?).
  • Controlling wird durch elektronische Rechnungen vereinfacht (pts: welches KuK-Unternehmen hat ein Controlling?)
  • 75% des verpassten Skontos sind auf Prozessgründe zurückzuführen
  • elektronische Rechnungen werden im Durchschnitt früher bezahlt.


Was hat das mit einer VFD zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, es ist jedem Steuerberater aber sofort klar: Ohne Re-Organisation des Rechnungswesens hin zu einer Intergration elektronischer Rechnungen ein- wie ausgehend, geht es nicht. Das ist beratungsintensiv; vor allem deshalb, weil der Rechnungsteller eine ordnungsgemässe Abrechnung schuldet und der Rechnungsempfänger bis zur Erteilung der ordnungsgemässen Abrechnung die Leistung (=Zahlung) verweigern kann. Ordnungsgemässe Abrechnung heisst für den Rechnungsteller einer elektronischen Rechnung: Rechnung wird mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Der Nachweis der rechtlich einwandfreien Organisation der qualifizierten elektronischen Signatur bedingt neben vielem Anderen eben eine VFD. Und für Rechnungsteller wie für Rechnungsempfänger ist die elektronische Rechnung eine echte Herausforderung technischer Art zur Herstellung der Beweis-, Beleg- und Urkundsfunktion. Ist die nicht gegeben, wird nämlich ohne Beleg gebucht. Und jetzt wird klar: Die Sache ist ohne hochkarätige Beratung nicht zu schaffen. Und dann und erst an dieser Stelle wird die Sache für Steuerberater interessant. Die Fragen dazu lauten:

  • Wie schnell wird sich das in meinem Mandantenbereich entwickeln?
  • Wie schnell muss Kompetenz aufgebaut werden?
  • Wie lange braucht der Kompetenzaufbau?
  • Was kostet das?
  • Lässt sich das auf andere fachkundige Berufs-Kollegen wegdelegieren?
  • Welche Beratungsrisiken bestehen?
    • Wie werden die voraussichtlich vergütet?
    • Erlaubt das ein ausreichendes Honorar?
    • Ist die Haftpflicht ausreichend?

Und zugleich wird klar: es geht um ein Gesamtkonzept aus neudeutsch eBilling/ eInvoicing, integrierten Prozessen der Rechnungsbearbeitung, Mandanten-Informationen, qualifizierter elektronischer Signatur, Archivierung elektronischer Unterlagen, GDPdU/ GoBS, Z1 – Z3, Vorsteuer-Abzug, Ermittlung des Nutzens des Einsatzes elektronischer Abrechnung, Management des working capital, Rechnungs-, Reklamations- und Zahlungsbearbeitung, Abbildung aller Prozesse im Rechnungswesen. Angesichts dieser Komplexität ist es nicht verwunderlich –und auch kein verwerfliches Verhalten-, wenn sich der Steuerberater zunächst seinem Tagesgeschäft zuwendet. Es gibt in seiner Literaturwelt kaum Hinweise auf diese Themen, der Zusammenhang mit der VFD erschliesst sich erst nach sorgfältigem Studium aller hierzu zur Verfügung stehenden Quellen. Dazu ist schlicht keine Zeit; auch deshalb nicht, weil der Reformeifer des Gesetzgebers für ein sehr dynamisches berufliches Umfeld sorgt. Und weil derzeit immer noch 92,25% aller Rechnungen papiergebunden eingehen, ist auch kein hoher Handlungsbedarf zu entdecken. Selbst in Grossunternehmen ist die elektronische Rechnung erst bei 18,87% voll eingeführt, 52,83% der Unternehmen sind in der Vorphase und für 28,3% der Grossunternehmen ist die elektronische Rechnungsbearbeitung nach eigenen Aussagen „kein Thema“. Warum also soll sich die klassische Klientel der Steuerberater, KuK-Unternehmen darum kümmern? Und warum sollen sich die Steuerberater auf dies Thema einstellen. Es lebt noch nicht wirklich.

Wenn man aber weiss, dass die Kosten der Rechnungsbearbeitung sich von 22,48 € je Rechnung auf 6,74 € je Rechnung mindern lassen, kann das durchschnittliche Mandat eines Steuerberaters bei 500 Eingangs-Rechnungen p.a. (davon 55% elektronisch) 4.328 € jährlich einsparen. Dies dem Mandanten klar zu machen, kostet wieder Aufwand, den der Mandant bezahlen muss. Wird er dazu bereit sein?

Dies fachtheoretisch hochinteressante Thema wird erst dann praxisrelevant, wenn der Handlungsbedarf steigt. Und der steigt nur auf 3 Weisen:

  • 1. Die steuerlichen Beriebsprüfer verlangen bei sich bietender Gelegenheit, also immer da, wo elektronische Rechnungen im Spiel sind, bereits in der Vorbereitungsphase der BP die Vorlage der historischen/ historisierten VFD`en.
  • 2. Die Kunden und Lieferanten verlangen schneller als prognostiziert elektronische Rechnungen auch von KuK-Unternehmen. Sie verlangen Rechtsfestigkeit, also Garantien zum Vorsteuer-Abzug, und dazu gehört die VFD.
  • 3. Die Mandanten entdecken die Kosten von Rechnungs- und Reklamationsbearbeitung, Papier vs. eRechnung und steigen schnellstmöglich auf papierarme Verwaltung um. 

Mit einigem Verzug kommt das Thema als Beratungsnachfrage bei den Steuerberatern an, und dann beginnt dort der Kompetenzaufbau und die Auseinandersetzung mit dem Thema. Die Frage also, warum sich nur wenige Steuerberater als Kenner der Materie zu erkennen geben, ist damit beantwortet.

Fazit

Alle Themen zur und um die Verfahrensdokumentation sind fachtheoretisch hochinteressant. Sie bilden aber noch keinen Teilmarkt der Steuerberatung, der einer Exploration wert ist. Derzeit kümmern sich nur einige wenige Spezialisten darum.

In den nächsten fünf Jahren wird die Nachfrage nach dieser spezialisierten Beratung zunehmen; und dann stellt sich die Frage: Wer macht was? Delegieren die Kanzleien diese Aufgabe weg, weil sie den Aufwand des Kompetenzaufbaus nicht tragen wollen? Das ist gut für diese Spezialisten. Oder bauen Sie eigene Kompetenzen auf? Auch das ist gut für diese Spezialisten, denn wer soll denn sonst die vielen Fortbildungsvorträge halten?

Wer das Thema „Verfahrendokumentation“ ins Bewusstsein von Unternehmern und ihren Steuerberatern bringen will der ist gut beraten, nicht in den Chor der „Sanktions-Verkünder“ einzufallen, sondern sachlich zu argumentieren. Die VFD gehört zum digitalen Rechnungswesen. Sie sichert die Beweis-, Urkunds- und Belegfunktion. Und eine gute VFD verschlankt die Administrationsprozesse auch in KuK-Unternehmen. Sie bringt mehr als sie kostet. Das zu vermitteln ist die Aufgabe aller, die an diesem Thema interessiert sind. Und die Leser dieses Forums sind an diesem Thema interessiert. Sie sollten also versuchen, Ihre Kollegen zu erreichen.

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