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Anmerkungen zur Definition der "Verfahrensdokumentation"

Von Siegfried Mack

01.02.2007

Siegfried Mack

Siegfried Mack
Siegfried Mack (www.aufbewahrungspflicht.de) beschäftigt sich seit 1985 mit Dokumentenmanagement, Archivierung, E-Commerce, Abbildung von Geschäftsprozessen. Konzepten für GDPdU-Archive, Design und Entwicklung von Systemen für die Verfahrensdokumentation nach GoBS.

Siegfried Mack setzt sich auf einer theoretischen Ebene mit dem Editorial "Verfahrensdokumentation: Modell welcher Realität?" von Gerhard Schmidt auseinander.

 

Sehr geehrter Herr Schmidt,

mit Interesse habe ich Ihr Editorial „Verfahrensdokumentation: Modell welcher Realität?“ gelesen.

Im Nachgang dazu möchte ich mir erlauben, zu der in dem Artikel verwendeten Definition der „Verfahrensdokumentation“ einige Anmerkungen zu machen. Ziel soll es sein, diese Definition auf ihren praktischen Nutzwert hin abzuklopfen. Der Nutzwert soll daran gemessen werden, inwieweit diese Definition einem GoBS-Pflichtigen helfen kann, einen Weg zur Erstellung einer konkreten Verfahrensdokumentation zu finden.

Vorbereitung

Zur Vereinfachung der Diskussion wird die Definition in drei Sätze S1, S2 und S3 zerlegt, der Begriff Verfahrensdokumentation mit VFD und die Definition der VFD mit DVFD bezeichnet. Die DVFD in Ihrem Artikel lautete:

S1: Eine Verfahrensdokumentation ist das Modell eines Ausschnitts der Unternehmensrealität und deren Veränderung.

S2: Der Ausschnitt der Unternehmensrealität wird bestimmt durch rechtliche Vorschriften wie die GoBS.

S3: In dem Modell werden die wesentlichen Eigenschaften der Unternehmensrealität beschrieben (welche dies sind, ist ebenfalls rechtlich determiniert). Von den unwesentlichen Eigenschaften wird abstrahiert.

Methode

Das Ziel einer Definition sollte es wohl sein, ein möglichst scharfes „geistiges“ Bild von dem zu definierenden Begriff für den Interpretierenden zu zeichnen; der Interpretationsraum ist daher äußerst klein zu halten, d.h. es sind möglichst keine Begriffe aus einem höheren Abstraktionsniveau oder Begriffe mit evtl. großen Bedeutungsfeldern zu verwenden, die in diesem Kontext selbst einer weiteren Definition bzw. Verschärfung bedürfen (so allgemein wie nötig, so spezifisch wie möglich).

Getreu dieser Forderung an eine Definition soll nachfolgend der Interpretationsraum dadurch exploriert werden, dass „mächtige“ Begriffe, die notwendigerweise in der Nominaldefinition benutzt werden, ihrerseits durch gängige oder spezifische Definitionen ersetzt werden.

Einstieg

Beginnen wir mit dem ersten Satz und suchen nach „gängigen“ Begriffen, die durch ihre Definition ersetzt werden können.

S1: Eine Verfahrensdokumentation ist das Modell eines Ausschnitts der Unternehmensrealität und deren Veränderung.

Für Modell werden zwei sehr unterschiedliche Begriffsbestimmungen gewählt: Eine möglichst Allgemeine nach Duden und eine sehr spezielle aus der Begriffswelt der Objektorientierung.

a) (nach Duden): Vereinfachte Darstellung der Funktion eines Gegenstandes oder des Ablaufs eines Sachverhaltes, die eine Untersuchung oder Erforschung erleichtert.

b) (nach Erler/UML): Instanz eines Metamodells, die eine „Sprache“ (Darstellungswelt/Paradigma) zur Beschreibung der Problemdomäne definiert.

Die meisten anderen Modellbegriffe (http://de.wikipedia.org/wiki/Modell) von Weber bis Stachowiak lass sich hier kaum verwenden.

Mit der einfachen aber sehr allgemeinen Definition a) lässt sich schon recht gut arbeiten, wenn man sie im GoBS-Kontext am Ende um „und/oder zur Information Dritter“ erweitert. Ein handfester Weg zu einer konkreten VFD ist damit noch nicht gebahnt.

Missbrauch

Mit dem wesentlich strengeren und engeren Modellbegriff b) aus der UML (unified modelling language) wird die Interpretation schon spannender. Hier wird nämlich verlangt, die Mittel zur Darstellung der Problemdomäne zu definieren. Das ist gut zu gebrauchen (Hilfe-1).

Das „Modell“ der UML ist selbst Element einer 4-stufigen Hierarchie. An deren oberster Stufe steht als Kategorie das Meta-Metamodell als ein Begriff, für den keine Oberbegriffe mehr zugelassen sind. Darunter steht das Meta-Modell, das wiederum eine „Sprache“ zur Konstruktion eines Modells spezifiziert.

Sowohl im Metamodell als auch im Modell wird festgelegt, auf welcher Abstraktionsebene sich die darzustellenden Elemente bewegen und wie sie jeweils benutzt werden können und dürfen. Das könnte von Nutzen sein (Hilfe-2)!

Dieses Konzept des Meta-Modells soll ab hier weiterhin „missbraucht“ werden, um klar zu machen, auf welcher Abstraktionsebene sich das Modell befindet, von dem jeweils die Rede ist.

Begriffsdiebstahl

Doch hat die Verwendung der UML-Definition des Modells einen Haken. Das liegt im Ziel der UML begründet: Die Repräsentation komplexer Strukturen zu Sequenzialisieren, d.h. ziemlich komplizierte grafische Gebilde letztlich in irgendeine objektorientierten Programmiercode abzubilden. Das ist aber nicht die hier gestellte Aufgabe. Ganz im Gegenteil würde das Ziel der Sequenzialisierung die Möglichkeiten der Darstellung einer konkreten VFD von vornherein einschränken.

Da es hier aber ganz pragmatisch um den Nutzwert einer Definition geht, sollen a) und b) als Explorationshilfen zur Gedankenführung „ausgeliehen“ werden. Die Definition b) hilft aber nicht nur, a) jeweils zu verschärfen, sondern bringt ganz automatisch Begrifflichkeit und Denkstil der Objektorientierung ins Spiel und formuliert Forderungen an die jeweilige Darstellungswelt.

Wo ist das Modell?

Fangen wir die Exploration mit dem Begriff Metamodell an. Damit stellen sich die Frage: Gibt es ein Modell für die VFD, also ein Dokumentationsmodell für die VFD? Ein „Metamodell“, das zu einer Struktur führt und festlegt, welche Mittel zur Darstellung der VFD und welche „Klassen“, „Attribute“ und “Operationen“ genutzt werden können?

Die Antwort ist einfach. Die GoBS verlangen bzgl. der VFD mindestens die natürliche Sprache, räumen aber Freiräume für weitere Darstellungsformen ein und umreißen die „Problemdomäne“. Aber auch zu den Klassen, Attributen und Funktionen geben die GoBS einige Antworten, aber keine zur Struktur bzw. Strukturelementen bzw. zur Repräsentation.

GoBS - besser als ihr Ruf

Die GoBS liefern eine, wenn auch etwas abstrakte Beschreibung der Forderungen an eine Verfahrensdokumentation. Schaut man mit dem Auge der Objektorientierung in den Text, finden sich hier Darstellungen von Klassen, Attributen und auch „Funktionen“ wie z.B. die Beleg-, Journal- und Kontenfunktion des Geschäftsvorfalls. Es wird die „Sprache“ zur Präsentation eines konkreten Modells, nämlich einer Verfahrensdokumentation großzügig umrissen. Es wird eingeräumt, neben „verständlichen“ Texten auch Tabellen, grafische Mittel und andere zu nutzen. Selbst die Vorhaltung in noch unbekannten Systemen wird antizipiert.

Es gibt sie doch

Um die Erstellung der VFD zu systematisieren, haben Verbände und Berater Sammlungen von Office-Dokumenten (Word/Excel u. a. m.) mit viel eingebettetem Know-how entwickelt, um zu einer kompakten, generischen „Vorlage“ für die VFD zu kommen. Hier handelt es sich offenbar um Dokumentationsmodelle für die VFD, um Metamodelle zur Erzeugung einer konkreten VFD: Es werden „sprachliche“ „strukturale“ und „funktionale“ (zu beantwortende Fragen) Elemente vorgegeben, um eine konkrete VFD zu entwickeln. Eine solche Vorlage stellt bereits ein Dokumentationsmodell dar.

Auseinandersetzung mit der Realität

c) Realität nach Duden: Wirklichkeit, tatsächliche Lage, Gegebenheit.

Stellen wir dem eine ziemlich hochgestochene Definition aus der Begriffskiste eines der größten Metaphysiker des letzten Jahrhunderts, Alfred North Whitehead /zitiert nach Bochenski) gegenüber:

d) Realität nach Whitehead(Bochenski): Die Welt besteht nicht aus Dingen, sondern Ereignissen (events), aus dem, was geschieht (happens).

Mit Realität ist in S1 offenbar nicht ein Schnappschuss der „tatsächlichen Lage“ ge­meint, sondern eher die Wirklichkeit im Sinne von d), nämlich Unter­nehmens­ereignisse, das Funk­­tio­nie­ren der Gegenstände, die Abläufe etc. wie schon in der Definition a) des Modellbegriffes nach Duden um­rissen wird. Wir zeichnen eine Folge von Schnappschüssen der AUR zu den Zeitpunkten (ti), (ti+1), /ti+2)… auf; Ereignisse bedingen die Veränderungen zwischen den Schnappschüssen.

Verfahrensdokumentation

Zur Unternehmensrealität ge­­hören auch die agierenden Personen. Die Unternehmensrealität setzt sich also aus Objekten von folgendem Typ zusammen: Gegenständen, Personen sowie Ereignissen und ist damit notwendigerweise „dynamisch“, da die Veränderung dieser Objekte ebenfalls durch Ereignisse repräsentiert wird. Diese Objekte lassen sich identifizieren, klassifizieren, mit Attributen versehen, miteinander verknüpfen und zu guter Letzt können hier über Aufzeichnungen angefertigt werden (Hilfe-3).

Unternehmensrealität

Mit diesem Realitätsbegriff wird der Nachsatz „…und deren Veränderung“ in S1 überflüssig. Im Übrigen verlangen die GoBS bereits die Dokumentation von Veränderungen, die Systeme, Daten, Personen etc. betreffen.

Weiter im Text

S2: Der Ausschnitt der Unternehmensrealität wird bestimmt durch rechtliche Vorschriften wie die GoBS.

Ein Ausschnitt der UR besteht danach ebenfalls aus Ereignissen, Personen und Gegenständen. Im täglichen Sprachgebrauch bedeutet Ausschnitt die Teilmenge einer Obermenge. Tatsächlich suggeriert S2 die Existenz eines Operators RV (Rechtliche Vorschriften), der, auf die Unternehmensrealität UR angewendet, den Ausschnitt AUR liefert, etwa in der Form RV(UR) => AUR und diesen (wie eine Projektion) definiert; die AUR erscheint nun als Sammlung der Mengen Gegenstände, Personen und Ereignisse; etwas formeller: AUR(t)={G,P,E}; mit (t) an AUR angefügt, um die Abhängigkeit von der Zeit auszudrücken.

Die „Bestimmung“ des Ausschnitts der Unternehmensrealität ist nämlich nur dann möglich, wenn es einen Operator RV gibt, also einen Satz von rechtlichen Vorschriften, der, auf UR angewandt, tatsächlich AUR liefert. Ob es bei der Gestalt unserer Gesetze und Vorschriften möglich ist, eine solche Abbildung zu konstruieren, sei dahin gestellt (Compliance-Problematik). Dies würde nämliche definierte Objektmengen für G, P und E einschließlich aller Funktionen und Beziehungen zwischen diesen voraussetzen, was wiederum ein Modell erfordert. Wishful thinking.

Diese Diskussion endet mit der klassischen Aporie: Der Erkenntnisgewinn der besteht darin, dass dieser Teil der Definition als nicht hilfreich entlarvt wird.

Fortschritt

S3: In dem Modell werden die wesentlichen Eigenschaften der Unternehmensrealität beschrieben (welche dies sind, ist ebenfalls rechtlich determiniert). Von den unwesentlichen Eigenschaften wird abstrahiert.

Hat die Realität (objektivierbare) Eigenschaften? Das ist was für Erkenntnistheoretiker. Die Realität ist! (höchstens grausam). Eigenschaften haben die Objekte der Realität, nämlich Ereignisse, Personen und Gegen­stände. Und das hilft weiter, wurde aber bereits oben (Realität) festgestellt.

Das Adjektiv „…die wesentlichen…“ und der Nachsatz in Klammern (welche dies sind, ist ebenfalls determiniert) ist nach dem Objektverständnis und der Auslegung der obigen Definitionssätze hier überflüssig, da die Objekte der AUR (Ausschnitt der UR) ja schon in S2 „bestimmt“ worden sind. Die Objekte der Realität werden in der VFD durch Dokumentationsobjekte repräsentiert, und diese bestehen aus Darstellungen von Attributen und Verhalten.

Da die unwesentlichen Eigenschaften komplementär zu den wesentlichen sein dürften, und diese ja determiniert sind, bedürfen sie hier nicht der Erwähnung als „abstrahiert“.

Eingesammelte Hilfen

Sehen wir uns noch einmal die gewonnenen Hilfe- Punkte an.

Hilfe-1: Mittel zur Darstellung (Darstellungswelt/Paradigma) der Problemdomäne definieren. Diese Forderung wurde aus der Exploration einer Definition gewonnen. Das wäre mit Sicherheit für den Prüfer wie für den GoBS-Ersteller eine echte Hilfe.

Hilfe-2: ..auf welcher Abstraktionsebene sich die darzustellenden Elemente bewegen. Mit Sicherheit ein wichtiger Punkt für die Sprachdisziplin und die Ordnung der zu dokumentierenden Objekte. In den GoBS wird das Meta-Metamodell der VFD angedeutet. Einige Experten liefern (s. o. VOI/Kampf­fmeyer/Zöl­ler & Partner u.a.) liefern ein VFD-Dokumentationsmodell mit generischen Strukturvorlagen, die Ordnung in die darzustellenden Elemente bringen.

Hilfe-3: Diese Objekte lassen sich identifizieren, klassifizieren, mit Attributen versehen, miteinander verknüpfen und über ihre Veränderungen können einfach Aufzeichnungen angefertigt werden. Dieses Hilfepunkt dürfte der wichtigste Hinweis für eine systematische Vorgehensweise sein und einen gute Basis für eine eigene DB –Anwendung liefern.

In omnia mala

Die DVFD scheint auf den ersten Blick sehr überzeugend. Das liegt m.E. daran, dass die Bedeutungsfelder der verwendeten Begriffe sehr groß sind, die der Interpretierende nach seinem „Wissen“ assoziativ einschränkt und so schnell zu „seinem“ Bild gelangt. Tatsächlich aber zeigt diese Definition fast das gleiche Darstellungssyndrom wie die GoBS selbst: Sie ist sehr allgemein und verlangt noch einige Interpretationsarbeit, bis man zur einem wirklich verwertbaren Modell der VFD kommt bzw. zu einer Handlungsanweisung zur Erstellung desselben gelangt.

Das Gute an dieser Definition besteht offenbar darin, dass sie eine Anstrengung zur begrifflichen Analyse herausfordert, deren Ergebnis einen Weg und Instrumente zur Konstruktion eines objektorientierten Dokumentationsmodells für die VFD liefert. Vielleicht auch zu „objektorientiert formulierten“ GoBS?

Mit den Hilfepunkten 1-3 wird die Konstruktion eines Dokumentationsmodells für die VFD zu einer einfacheren phänomenologischen Übung.

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Siegfried Mack: Anmerkungen zur Definition der "Verfahrensdokumentation"

18.03.2024

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