BUNDESFINANZHOF
1. Begründen Tatsachen den Verdacht einer
Tat, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen i.S.
des § 299 Abs. 2 StGB erfüllt, so ist die Finanzbehörde
ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht
kommt, verpflichtet, die erlangten Erkenntnisse an die
Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung"
und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht,
dass das FA vor der Übermittlung der den Tatverdacht begründenden
Tatsachen prüft, ob hinsichtlich der festgestellten Zuwendungen
Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist oder Verwertungs- bzw.
Verwendungsverbote vorliegen.
2. Ein Verdacht i.S. des § 4
Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der
Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im
Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5
Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen.
AO § 30, § 393 EStG
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 StGB § 78, § 78a,
§ 78c, § 299 StPO § 150, § 152,
§ 170, § 203
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Beschluss vom 14. Juli 2008
VII B 92/08
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Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom
13. Februar 2008 4 V 630/07 (EFG 2008, 760)
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Gründe
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin
(Antragstellerin), ein produzierendes Unternehmen, leistete in den Jahren 1995
bis 2002 Zahlungen an Herrn S., den Einkäufer eines maßgeblichen
Kunden, in Höhe von 10 v.H. des Wertes der von diesem im Namen des
Kunden bei der Antragstellerin bestellten Waren.
Anlässlich einer Betriebsprüfung bei der
Antragstellerin im Jahr 2006 gelangte der Antragsgegner und Beschwerdegegner
(das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, dass die Zahlungen der Antragstellerin
an Herrn S. den Tatbestand des § 299 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs
(StGB) --Bestechung im geschäftlichen Verkehr-- erfüllen könnten.
Er beabsichtigt daher, die erlangten Erkenntnisse über diese Zahlungen
wegen des Verdachts einer Strafbarkeit gemäß § 299 StGB an
die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Den daraufhin gestellten Antrag, dem FA im Wege
der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die im Rahmen der
Betriebsprüfung erlangten Informationen über die Zahlungen an Herrn S.
an die zuständige Straf- und Bußgeldstelle zur Weiterleitung an die
zuständige Staatsanwaltschaft weiterzugeben, wies das Finanzgericht (FG)
durch den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 760 veröffentlichten
Beschluss als unbegründet zurück. Es führte im Wesentlichen aus,
nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) sei die
Offenbarung von nach § 30 Abs. 2 AO erlangten Kenntnissen in
gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Fällen zulässig.
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
begründe sowohl in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996)
vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) als auch in der Fassung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom
24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) eine solche gesetzliche
Offenbarungsbefugnis bei Verdacht einer Straftat, die Zuwendung von Vorteilen
und damit zusammenhängender Aufwendungen betreffend. Im Streitfall
ergäben sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht
einer Straftat nach § 299 StGB bzw. nach § 12 a.F. des
Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG a.F.) begründeten, daraus,
dass die Zahlungen unbestritten an Herrn S. geleistet wurden, um von ihm
weiterhin Aufträge im Namen der Y-GmbH zu erhalten. Die Möglichkeit
bereits eingetretener Strafverfolgungsverjährung oder eines
strafrechtlichen Verwertungsverbotes stehe der Mitteilungspflicht des FA nicht
entgegen. Denn die Prüfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen
für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterliege der
ausschließlichen Beurteilung durch die dafür zuständigen
Strafverfolgungsbehörden. Es wäre ein sachwidriger Eingriff der
Finanzbehörde in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der
Strafverfolgungsbehörden, wenn sie den Strafverfolgungsbehörden
Erkenntnisse, die sie nach einer gesetzlichen Vorschrift zu übermitteln
habe, aufgrund eigener Einschätzung strafverfahrensrechtlicher
Voraussetzungen vorenthalten könnte. Eine die Offenbarungspflicht
einschränkende Auslegung der Regelung des § 4 Abs. 5
Nr. 10 Satz 3 EStG im Hinblick auf die --bloße--
Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO sei wegen
der bewussten Schaffung einer Spezialregelung im Zusammenhang mit der
Nichtabziehbarkeit der Schmiergeldzahlungen als Betriebsausgaben nicht
möglich.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt
die Antragstellerin ihren Anordnungsantrag unter Bezugnahme auf ihre
Antragsbegründung weiter.
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die
Entscheidung des FG ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere hat das FG zutreffend einen
Anordnungsanspruch nach § 114 Abs. 1 Satz 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) (Regelungsanordnung) verneint, weil der im
Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Das FA ist nach der
ausdrücklichen Anweisung in § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG
verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden die angekündigte Mitteilung
zu machen.
1. Sowohl nach § 4 Abs. 5
Nr. 10 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 als auch nach § 4
Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 teilt
die Finanzbehörde Tatsachen, die den Verdacht einer Tat (Straftat oder
Ordnungswidrigkeit) im Sinne des Satzes 1 der o.g. Vorschriften
begründen, der Staatsanwaltschaft oder der Ordnungsbehörde bzw. der
Verwaltungsbehörde mit. Eine Tat im Sinne des Satzes 1 der o.g.
Vorschriften ist insbesondere eine solche, die den Straftatbestand einer
rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen erfüllt. Ein solcher Straftatbestand
ist in § 299 Abs. 2 StGB normiert. Danach wird bestraft, wer im
geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder
Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes einen Vorteil für diesen
oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder
gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder
gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge. Ein Verdacht i.S. des
§ 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der
Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im
Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende
tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5
Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen (vgl. Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, Kommentar, §§ 4, 5 Rz 2039, 2041;
Bahlau in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 1866, 1873,
m.w.N.).
Wenn im Gesetzgebungsverfahren zum StEntlG
1999/2000/2002 davon die Rede war, dass die Mitteilungspflicht erst bei
hinreichendem Tatverdacht (vgl. BRDrucks 910/98, S. 170) eingreifen soll,
so kann dem nicht gefolgt werden. Denn strafprozessual ist für die
Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nur ein
Anfangsverdacht, also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich
(§ 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung --StPO--). Da mit der
Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG aber der
Staatsanwaltschaft gerade die Prüfung ermöglicht werden soll, ob ein
Ermittlungsverfahren einzuleiten ist, wäre es sinnwidrig, die Mitteilung
von einem Verdachtsgrad abhängig zu machen, der nach der StPO erst für
die Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO) und die Eröffnung
des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) erforderlich ist (so auch zutreffend
Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, Betriebs-Berater 2000,
1006, 1013).
2. Nach den Feststellungen des FG wurden die als
Betriebsausgaben verbuchten Zahlungen an Herrn S. geleistet, um von ihm
weiterhin Aufträge des Kunden, für den er als Einkäufer
tätig war, erteilt zu bekommen. Die Würdigung des FG, dass dieser
Sachverhalt, den die Antragstellerin in ihrer Beschwerde ausdrücklich
bestätigt hat, zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den
Verdacht einer Straftat nach § 299 Abs. 2 StGB bzw. nach
§ 12 UWG a.F. liefert, ist nicht zu beanstanden. Daher ist die
streitige Mitteilung geboten.
a) Die von der Antragstellerin im Antragsverfahren
vorgebrachten Einwände gegen die Zulässigkeit der Information der
Strafverfolgungsbehörden beziehen sich allein auf die Möglichkeit,
dass bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten sein oder ein
strafrechtliches Verwertungsverbot bestehen könnte. Dieses Vorbringen zielt
darauf ab, dass die Finanzbehörde die Mitteilung zur Wahrung des Rechts auf
"informationelle Selbstbestimmung" (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1) zu
unterlassen habe, obwohl diese Mitteilung nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht
in ihr Ermessen gestellt ist. Denn Einschränkungen dieses Rechts seien nur
aufgrund einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Regelung unter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit
zulässig.
Zunächst begegnet keinen rechtlichen
Zweifeln, dass der Gesetzgeber die Mitteilungspflicht in den genannten
Fällen speziell regeln durfte. Zum einen ist gemäß
§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO eine Einschränkung des in
§ 30 AO allgemein geregelten Schutzes des Steuergeheimnisses in
gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Offenbarungsfällen möglich.
Zum anderen stellt die Regelung als solche auch keinen ungerechtfertigten
Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Wenn auch nach der Neuregelung
des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG n.F. die Versagung des
Betriebsausgabenabzugs nicht mehr von einer rechtskräftigen Verurteilung
wegen einer Korruptionstat oder einer Einstellung des Strafverfahrens
gemäß den §§ 153 bis 154e StPO abhängt und damit
die Mitteilungspflicht für das Funktionieren der steuerlichen Regelung
nicht mehr notwendig ist, durfte es dem Gesetzgeber erforderlich erscheinen, zur
Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs mit dem Ziel der
Korruptionsbekämpfung weiterhin an der Offenbarungspflicht festzuhalten.
Dieses Ziel kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, nach der
insbesondere generalpräventive Gesichtspunkte für eine Beibehaltung
der Mitteilungspflicht sprechen (BTDrucks 14/443, S. 21).
b) Der Senat hält es auch nicht zur Wahrung
der Verhältnismäßigkeit für geboten, dem FA vor der
Übermittlung der die Verdachtstat begründenden Tatsachen die zumindest
überschlägige Prüfung abzuverlangen, ob eine strafrechtliche
Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft überhaupt in Betracht kommt oder
von vornherein ausgeschlossen ist. Denn die Feststellung, ob
Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, kann in der Regel nicht in
jedem Falle zweifelsfrei "durch einen Blick ins Gesetz" getroffen werden. Selbst
wenn im Streitfall feststünde, dass die letzte Vorteilsgewährung mehr
als fünf Jahre zurückliegt, ist insbesondere nicht ausgeschlossen,
dass die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB für
eine Tat nach § 299 Abs. 2 StGB geltende 5-jährige
Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist, weil die Verjährung
möglicherweise unterbrochen worden sein könnte (§ 78c
Abs. 1 StGB).
Demgegenüber stellt die Offenbarung selbst in
einem offensichtlich strafverfolgungsverjährten Fall keinen
unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Steuerpflichtigen
dar. Denn in einem solchen Fall hat er keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft
zu befürchten, sie schreitet nach § 152 Abs. 2 StPO selbst
bei Bejahung eines Anfangsverdachts nur wegen verfolgbarer Straftaten ein.
Stellt die Staatsanwaltschaft bei Eingang der Mitteilung des FA fest, dass die
angezeigte Tat bereits verfolgungsverjährt ist, ist die Sache ohne weiteres
erledigt.
Gleiches gilt hinsichtlich der Prüfung, ob
Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen (vgl. u.a. § 393
Abs. 3 AO), die prima facie die Offenbarung der Verdachtstat unnötig
erscheinen lassen mögen. Auch insoweit muss die Entscheidung der für
die Durchführung des Strafverfahrens zuständigen Staatsanwaltschaft
vorbehalten bleiben, deren rechtsstaatliches Vorgehen grundsätzlich nicht
in Zweifel stehen kann.
c) Schließlich kann die Antragstellerin der
Offenbarung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG nicht
entgegenhalten, dass sie strafrechtliche Ermittlungen auch gegen den
Vorteilsempfänger auslösen und damit mittelbar ihre
Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden belasten könnte. Denn bei diesen
geschäftlichen Nachteilen, die die Antragstellerin befürchtet,
könnte es sich allenfalls um von der Antragstellerin hinzunehmende Folgen
der vom Gesetzgeber im Interesse der Korruptionsbekämpfung für
erforderlich erachteten Mitteilung handeln.