BUNDESFINANZHOF
1. Eine Bilanz kann nicht nach § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG geändert ("berichtigt") werden, wenn sie nach dem
Maßstab des Erkenntnisstands im Zeitpunkt ihrer Erstellung den
Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht
(Bestätigung des Senatsurteils vom 5. Juni 2007 I R 47/06,
BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818).
2. Eine Bilanz kann nicht mit dem Ziel eines
niedrigeren Gewinnausweises nach § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG
geändert werden, wenn das Finanzamt den Gewinn zwar höher als vom
Unternehmer erklärt ansetzt, dies aber auf einer Berücksichtigung von
außerbilanziellen Gewinnerhöhungen beruht.
EStG § 4 Abs. 2
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Urteil vom 23. Januar 2008
I R 40/07
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Vorinstanz: FG Köln vom
21. März 2007 13 K 4358/06 (EFG 2007, 1472)
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Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die
Zulässigkeit der Änderung einer Bilanz.
Die Klägerin und Revisionsklägerin
(Klägerin) ist eine GmbH, deren Wirtschaftsjahr dem Kalenderjahr
entspricht. Sie stellte am 30. April 2002 ihren Jahresabschluss für
das Streitjahr (2001) auf. Den auf dieser Basis ermittelten Gewinn
berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--)
in Steuerbescheiden, die gemäß § 164 Abs. 1 der
Abgabenordnung unter Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte die
Prüferin zu der Auffassung, dass der von der Klägerin erklärte
Gewinn um 6 347 DM (Verminderung eines Aktivpostens) und um weitere
51 330 DM (Erhöhung von Rückstellungen) zu vermindern sowie
um 135 000 DM (Ansatz eines Übernahmegewinns gemäß
§ 12 Abs. 2 Satz 2 des Umwandlungssteuergesetzes 1995
--UmwStG 1995--) und um weitere 29 913 DM (Erhöhung der nicht
abziehbaren Betriebsausgaben) zu erhöhen sei. Daraufhin machte die
Klägerin mit Schreiben vom 22. März 2006 unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) geltend, dass sie für das
Streitjahr eine Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen hätte bilden müssen (BFH-Urteil vom
19. August 2002 VIII R 30/01, BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131),
was bisher nicht geschehen sei. Das FA erließ im Anschluss an die
Betriebsprüfung Änderungsbescheide, in denen es diese
Rückstellung nicht berücksichtigte.
Die deshalb erhobene Klage hat das Finanzgericht
(FG) abgewiesen (FG Köln, Urteil vom 21. März 2007
13 K 4358/06). Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte
(EFG) 2007, 1472 abgedruckt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin
eine Verletzung materiellen Rechts. Sie beantragt sinngemäß, das
Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Bescheide dahin zu ändern,
dass die Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuermessbetrag für das
Streitjahr unter Berücksichtigung einer zusätzlichen Rückstellung
in Höhe von 90 755,33 € festgesetzt werden.
Das FA beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und deshalb
gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
zurückzuweisen. Das FA hat es zu Recht abgelehnt, die Bildung einer
Rückstellung für die Kosten der Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen bei der Besteuerung der Klägerin für das
Streitjahr zu berücksichtigen.
1. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn nach
§ 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 1997 i.d.F. des
Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601,
BStBl I 2000, 13) --EStG 1997-- (i.V.m. § 8 Abs. 1 des
Körperschaftsteuergesetzes, § 7 Satz 1 des
Gewerbesteuergesetzes). Da sie nach Handelsrecht buchführungspflichtig ist,
muss sie dabei für den Schluss eines Wirtschaftsjahres das
Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen
ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist (§ 5
Abs. 1 Satz 1 EStG 1997). Zu diesen Grundsätzen gehört, dass
im Jahresabschluss eine Rückstellung für die zukünftigen Kosten
der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet werden muss, soweit der
Unternehmer zu einer solchen Aufbewahrung verpflichtet ist (BFH-Urteil in BFHE
199, 561, BStBl II 2003, 131). Um eine solche Rückstellung geht es im
Streitfall.
2. Das FG hat nicht festgestellt, ob die
Klägerin am hier maßgeblichen Bilanzstichtag zur künftigen
Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen verpflichtet war und mit welchen
Aufwendungen sie in diesem Zusammenhang ggf. rechnen musste. Revisionsrechtlich
bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt hat es jedoch, dass die
Klägerin in ihrer ursprünglichen Bilanz für das Streitjahr keine
Rückstellung für eine solche Verpflichtung gebildet hat. Das steht dem
Erfolg der Klage entgegen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Änderung jener Bilanz im Streitfall nicht erfüllt sind.
a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
1997 darf eine Bilanz auch nach ihrer Einreichung beim FA geändert werden,
wenn sie den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung unter
Befolgung der Vorschriften des EStG nicht entspricht. Dazu hat der Senat
wiederholt entschieden, dass diese Vorschrift nicht schon dann eingreift, wenn
ein Bilanzansatz bei rückschauender Betrachtung objektiv gegen
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung verstößt.
Vielmehr ist ein Bilanzansatz i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 1
EStG 1997 "richtig", wenn er denjenigen Kenntnisstand widerspiegelt, den ein
ordentlicher Kaufmann im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei
pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung haben konnte
(Senatsurteile vom 5. Juni 2007 I R 47/06, BFHE 218, 221, BStBl
II 2007, 818; vom 5. April 2006 I R 46/04, BFHE 213, 326, BStBl
II 2006, 688, m.w.N.). Das gilt nicht nur insoweit, als es um die
Einschätzung tatsächlicher Umstände geht, sondern ebenso im
Hinblick auf die daraus zu ziehenden rechtlichen Folgerungen (Senatsurteil in
BFHE 218, 221, BStBl II 2007, 818). Ein Bilanzansatz, der dieser Vorgabe
entspricht, darf nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997
geändert ("berichtigt") werden. Daran hält der Senat weiterhin
fest.
b) Im Streitfall ist hiernach für die von der
Klägerin angestrebte Berichtigung der Bilanz für das Streitjahr kein
Raum. Denn selbst wenn die Klägerin am maßgeblichen Bilanzstichtag
mit künftigen Aufwendungen für die Aufbewahrung von
Geschäftsunterlagen rechnen musste, könnte das Fehlen einer
entsprechenden Rückstellung nur dann zur "Unrichtigkeit" ihrer
ursprünglichen Bilanz führen, wenn ein ordentlicher Kaufmann im
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung bei ordentlicher und gewissenhafter Prüfung
die Notwendigkeit der Rückstellungsbildung hätte erkennen müssen.
Das aber hat das FG ohne Rechtsfehler verneint: Nach seinen revisionsrechtlich
bindenden Feststellungen hat die Klägerin ihre Bilanz für das
Streitjahr im April 2002 aufgestellt; sie konnte dabei das einschlägige
Urteil des BFH in BFHE 199, 561, BStBl II 2003, 131, das vom 19. August
2002 datiert, nicht berücksichtigen. Vor Ergehen jenes Urteils gab es
indessen keinen verfestigten Meinungsstand des Inhalts, dass Aufwendungen der
genannten Art durch eine Rückstellung zu berücksichtigen seien;
vielmehr hatte das FG München die Bildung eines Passivpostens für
solche Aufwendungen noch im Jahr 2001 für unzulässig erachtet (FG
München, Urteil vom 23. Mai 2001 9 K 5141/98, EFG 2001,
1357). Dass seinerzeit die Bildung einer Rückstellung der hier in Rede
stehenden Art in sonstiger Rechtsprechung, in Verwaltungsanweisungen oder im
Fachschrifttum befürwortet wurde, ist weder von der Klägerin
aufgezeigt worden noch sonst erkennbar. Angesichts dessen ist es mit dem Gebot
kaufmännischer Sorgfalt vereinbar, wenn die Klägerin in ihrer Bilanz
für das Streitjahr eine Rückstellungsbildung unterließ. Darin
liegt mithin kein Bilanzierungsfehler, der gemäß § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 berichtigt werden könnte.
c) Zu einer abweichenden Beurteilung führt
nicht der Hinweis der Revision auf das bilanzrechtliche Vorsichtsprinzip. Denn
aus diesem Prinzip lässt sich nicht ableiten, dass ein Kaufmann schon dann
eine Rückstellung bilden muss, wenn die Notwendigkeit der
Rückstellungsbildung rechtlich ungeklärt ist und das Bestehen eines
entsprechenden Grundsatzes ordnungsmäßiger Buchführung denkbar
erscheint. Vielmehr ist der Senat in seiner Rechtsprechung stets davon
ausgegangen, dass es in dieser Situation mit der kaufmännischen Sorgfalt
vereinbar sein kann, die Bildung einer Rückstellung zu unterlassen
(Senatsurteile in BFHE 213, 326, BStBl II 2006, 688, und in BFHE 218, 221, BStBl
II 2007, 818). Das muss namentlich dann gelten, wenn es --wie im Streitfall-- im
Zeitpunkt der Bilanzaufstellung keine gewichtigen Stimmen gab, die eine
entsprechende Rückstellungsbildung forderten.
d) Ebenso hat das FG ohne Rechtsfehler angenommen,
dass die von der Klägerin begehrte Rückstellungsbildung nicht nach
Maßgabe des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 steuerlich
berücksichtigt werden kann. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine Bilanz
unabhängig von den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2
Satz 1 EStG 1997 geändert werden. Eine solche Bilanzänderung ist
aber nur dann zulässig, wenn sie in einem engen zeitlichen und sachlichen
Zusammenhang mit einer Bilanzberichtigung gemäß § 4
Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 steht und soweit die Auswirkung jener
Bilanzberichtigung auf den Gewinn reicht. Um eine solche Situation geht es im
Streitfall nicht.
aa) Unter welchen Umständen der in
§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 geforderte Zusammenhang einer
Bilanzänderung mit einer Bilanzberichtigung vorliegt, ist nicht
abschließend geklärt. Jedenfalls aber besagt der insoweit eindeutige
Gesetzeswortlaut, dass es im Gegenzug zu der Bilanzänderung nach
§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 zu einer Bilanzberichtigung nach
§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG 1997 gekommen sein muss. Daran fehlt
es im Streitfall. Denn die von der Klägerin begehrte Bildung einer
zusätzlichen Rückstellung würde zu einer Gewinnminderung
führen, und die dieser gegenüberstehende Gewinnerhöhung beruht
nicht auf einer Bilanzberichtigung:
Nach den Feststellungen des FG ist der Ansatz
eines Mehrgewinns im Anschluss an die Betriebsprüfung darauf
zurückzuführen, dass das FA einen Übernahmegewinn i.S. des
§ 12 Abs. 2 UmwStG 1995 berücksichtigt und zudem bestimmte
Betriebsausgaben der Klägerin als nicht abziehbar behandelt hat. Sowohl die
Erfassung des Übernahmegewinns (vgl. dazu Schreiben des Bundesministeriums
der Finanzen vom 25. März 1998, BStBl I 1998, 268, Tz. 12.05;
Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 12 UmwStG Rz 366,
m.w.N.) als auch die Berücksichtigung der Nichtabziehbarkeit von
Betriebsausgaben (dazu BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 I R 64/97,
BFHE 189, 75, BStBl II 1999, 656; vom 6. April 2000 IV R 31/99,
BFHE 192, 64, 69, BStBl II 2001, 536, 538; Senatsbeschluss vom
24. März 2004 I B 203/03, BFH/NV 2004, 959; Stapperfend in
Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz,
§ 4 EStG Rz 1123) vollziehen sich indessen durch eine
Gewinnerhöhung außerhalb der Bilanz. Eine außerbilanzielle
Gewinnerhöhung berührt keinen Bilanzansatz und kann daher die
Rechtsfolge des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nicht
herbeiführen (ebenso FG Münster, Urteil vom 27. Januar 2005
12 K 4155/03 E,G, EFG 2006, 1654; FG Hamburg, Urteil vom
8. März 2006 V 187/03, EFG 2006, 1153; Stapperfend in
Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 4 EStG Rz 472; a.A. Wied in
Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz,
Gewerbesteuergesetz, § 4 EStG Rz 1035; Korn/Strahl, EStG,
§ 4 Rz 448, m.w.N.). Deshalb ist unabhängig davon, ob
§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 nur bei Bestehen eines
steuerlichen Wahlrechts eingreift (so BFH-Urteil vom 14. August 1975
IV R 30/71, BFHE 117, 44, BStBl II 1976, 88) oder ob auch ein objektiv
unrichtiger Bilanzansatz nach dieser Vorschrift geändert werden kann (so
z.B. Crezelius in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 4 Rz 247 f.;
Weber-Grellet in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz,
§ 4 Rz C 188, m.w.N.), im Streitfall für eine solche
Maßnahme kein Raum.
bb) Mit dieser Beurteilung weicht der Senat nicht
von der Rechtsprechung anderer Senate des BFH ab.
aaa) Allerdings hat der VIII. Senat in seinem
Urteil vom 15. März 2000 VIII R 34/96 (BFH/NV 2001, 297)
ausgeführt, dass ein in § 4 Abs. 5 EStG enthaltenes Verbot
des Abzugs von Betriebsausgaben u.a. die Bildung einer Rückstellung hindere
(ebenso Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5 EStG Rz 745;
Crezelius in Kirchhof, a.a.O., § 5 Rz 120). Diese Aussage war
aber für seine Entscheidung letztlich nicht tragend. Denn die Frage nach
der systematischen Einordnung eines Abzugsverbots wirkt sich
ertragsteuerrechtlich nur dann aus, wenn es darum geht, ob eine fehlerhaft
unterlassene Gewinnerhöhung in einem späteren Veranlagungszeitraum
nachgeholt werden kann (vgl. Schreiber in Blümich, a.a.O., § 5
EStG Rz 745), und einen solchen Sachverhalt hatte der VIII. Senat
nicht zu beurteilen. Einer Anfrage nach § 11 Abs. 3 Satz 1
FGO bedarf es daher insoweit nicht.
bbb) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf die
Rechtsprechung des IV. Senats des BFH, nach der eine Bilanzänderung
auch dann i.S. des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG 1997 mit einer
Bilanzberichtigung zusammenhängen kann, wenn sich die gegenläufige
Gewinnänderung aus Fehlern bei der Verbuchung von Entnahmen und Einlagen
ergibt (BFH-Urteil vom 31. Mai 2007 IV R 54/05, BFH/NV 2007,
1973). Denn jene Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken, dass die Verbuchung
eines Vorgangs als Entnahme die Höhe des in der Bilanz ausgewiesenen
Eigenkapitals beeinflusst. Dieser Gedanke kann nicht auf Sachverhalte
übertragen werden, die sich aus steuerrechtlicher Sicht gänzlich
außerhalb der Bilanz vollziehen. Nur um solche geht es jedoch im
Streitfall.