BUNDESFINANZHOF
1. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6
AO stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf Unterlagen zu, die der
Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat.
2. Die Verpflichtung zur geordneten Aufbewahrung
von Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO trifft auch Steuerpflichtige,
die gemäß § 4 Abs. 3 EStG als Gewinn den
Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben
ansetzen.
3. Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht
in § 147 Abs. 1 AO ist grundsätzlich abhängig vom
Bestehen und vom Umfang einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht. Aufzubewahren
sind danach alle Unterlagen, die zum Verständnis und zur
Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich vorgeschriebenen
Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sein können. § 147
Abs. 1 Nr. 5 AO ist mit dieser Maßgabe einschränkend
auszulegen.
4. Das Recht, nach § 146 Abs. 5
Satz 1 AO eine bestimmte Form der Aufzeichnung und der Aufbewahrung zu
wählen, ist ausgeübt, wenn sich der Steuerpflichtige entschieden hat,
Aufzeichnungen sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form zu
führen und wenn er die notwendigen Unterlagen ebenfalls in beiden Formen
aufbewahrt. In diesem Fall erstreckt sich die Pflicht zur Aufbewahrung nach
§ 147 Abs. 1 AO auf sämtliche Aufzeichnungen und
Unterlagen.
5. Führt der Steuerpflichtige
Aufzeichnungen, zu denen er gesetzlich nicht verpflichtet ist, so sind die
Aufzeichnungen dann nicht gemäß § 146 Abs. 6 AO
"für die Besteuerung von Bedeutung", wenn sie der Besteuerung nicht
zugrunde zu legen sind.
AO § 145 Abs. 2, § 146
Abs. 5 Satz 1, Abs. 6, § 147 Abs. 1 Nr. 5,
Abs. 6, § 200 Abs. 1 Satz 2 EStG § 4
Abs. 3 Satz 5, Abs. 7 UStG § 22
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Urteil vom 24. Juni 2009
VIII R 80/06
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Vorinstanz: FG Hamburg vom 13. November 2006
2 K 198/05
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Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin),
eine Sozietät von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und
Rechtsanwälten, berechnet die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten und
ermittelt ihren Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung gemäß
§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Daneben verwendet
sie das Kanzlei-Rechnungswesen-Programm von X auf einem büroeigenen Rechner
(sog. inhome-Lösung).
Nach Anordnung einer Außenprüfung bei der
Klägerin forderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt
--FA--) die Klägerin mit Schreiben vom 2. Juni 2005 auf, ihre
digitalen Buchführungsunterlagen ("die Sachkonten der Jahre 2002 und 2003")
gemäß § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) auf CD-Rom
zur Verfügung zu stellen. Dies lehnte die Klägerin ab. Der Einspruch
der Klägerin blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Die
Entscheidung ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2007, 441 bis 445
veröffentlicht. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt,
die Klägerin sei zwar nicht buchführungspflichtig. Im Umfang der
steuergesetzlichen Aufzeichnungspflichten, insbesondere nach § 22 des
Umsatzsteuergesetzes (UStG), sei sie jedoch grundsätzlich verpflichtet,
Unterlagen gemäß § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren und auf
Verlangen herauszugeben. Allerdings habe das FA im Streitfall die Grenzen der
ihm eingeräumten Befugnis überschritten. Es hätte sein
Zugriffsverlangen auf die zur Erfüllung der Aufzeichnungspflicht in
§ 22 UStG erforderlichen Daten und Belege beschränken
müssen, was nicht geschehen sei. Das FG hat deshalb den angefochtenen
Bescheid wegen Überschreitung des dem FA eingeräumten Ermessens
aufgehoben.
Dagegen wendet sich das FA im Wege der Revision mit der
Sachrüge.
Das FA beantragt,
das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt.
Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat
gemäß § 122 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO)
seinen Beitritt zum Verfahren erklärt und sich wie folgt
geäußert:
Nach Sinn und Zweck des § 147 Abs. 6 AO gelte
das Recht der Finanzverwaltung zur Prüfung durch Datenzugriff in gleicher
Weise für freiwillige wie auch für verpflichtend geführte
datenverarbeitungsgestützte Aufzeichnungen. Der Gesetzesbegründung
lasse sich nicht entnehmen, dass der Datenzugriff nur in den Fällen
zulässig sein solle, in denen Aufzeichnungen aufgrund gesetzlicher
Vorschriften erstellt worden sind. Vor der Einführung des Datenzugriffs
seien Steuerpflichtige verpflichtet gewesen, ihre Bücher oder sonstigen
Aufzeichnungen in Papierform im Rahmen einer Außenprüfung vorzulegen.
Die Einführung des Datenzugriffs dürfe nicht
buchführungspflichtige Steuerpflichtige nicht dadurch besser stellen, dass
sie den Datenzugriff auf ihre mit einem Datenverarbeitungssystem erstellten
steuerrelevanten Aufzeichnungen nicht dulden müssten.
Die Einführung des Datenzugriffs diene im Übrigen
dem aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichmäßigkeit der
Besteuerung resultierenden Verifikationsgebot. Zwar habe der Gesetzgeber durch
die Anhebung der Umsatz- und Gewinngrenzen in § 141 Abs. 1 AO
für kleinere Unternehmen die Möglichkeit zur Gewinnermittlung durch
die einfachere Einnahmenüberschussrechnung erweitern wollen. Allerdings
müsse auch in diesen Fällen die Verifikation steuerlicher Sachverhalte
durch die Finanzverwaltung in demselben Maß gewährleistet sein wie
bei bilanzierenden Steuerpflichtigen.
Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision ist nicht begründet und deshalb
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
1. Die Ausführungen des FG halten revisionsrechtlicher
Nachprüfung im Ergebnis stand. Zwar liegt ein Ermessensfehler nicht vor,
die mit der Klage angegriffene Anordnung vom 2. Juni 2005 war jedoch
rechtswidrig und verletzte die Klägerin in ihren Rechten. Das FG hat sie
deshalb im Ergebnis zu Recht aufgehoben (§ 100 Abs. 1 Satz 1
FGO).
a) Zu Recht hat das FG angenommen, dass die Aufforderung zur
Datenüberlassung vom 2. Juni 2005 ein Verwaltungsakt ist
(§ 118 Satz 1 AO), gegen den sich die Klägerin mit dem
Einspruch und der Anfechtungsklage zur Wehr setzen kann (vgl. Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. April 2008 VIII R 61/06, BFHE
220, 313, BStBl II 2009, 579).
b) Das FG hat auch die Reichweite der Befugnisse aus
§ 147 Abs. 6 AO zutreffend bestimmt. Nach dieser Vorschrift kann
die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung Einsicht in die
gespeicherten Daten nehmen, wenn Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO
mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind. Sie kann
insoweit auch verlangen, dass ihr die gespeicherten Unterlagen und
Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur
Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6 Satz 2
Alternative 2 AO).
aa) Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen
der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der
Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (vgl.
BFH-Beschluss vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BFHE 219, 19,
BStBl II 2008, 415; ebenso BMF-Schreiben betreffend die Grundsätze zum
Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen, BStBl I 2001, 415,
Gliederungspunkt I.; Drüen in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 147 AO Rz 71; Trzaskalik in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 147 AO Rz 42; Kuhfus in:
Kühn/v.Wedelstädt, 19. Aufl., AO, § 147 Rz 24;
Schaumburg, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2002, 829, 832; a.A. Klein/
Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 147 Rz 11). § 147
Abs. 6 Satz 1 AO nimmt ausdrücklich und eindeutig auf "die
Unterlagen nach Absatz 1" Bezug. Zwar wird der Gegenstand, auf den sich die
Befugnisse des FA beziehen, in § 147 Abs. 6 AO an späterer
Stelle auch mit den Ausdrücken "die gespeicherten Daten", "die Daten" oder
"die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen" bezeichnet. Daraus ist jedoch
nicht abzuleiten, dass deswegen ein Recht auf Einsichtnahme in sämtliche im
Unternehmen gespeicherten Daten zulässig wäre (ebenso Drüen,
Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2003, 205, 215). Aus dem Zusammenhang ergibt sich
vielmehr, dass diese Ausdrücke nicht anders zu verstehen sind als die den
Umfang der Befugnisse maßgeblich beschränkende Bezugnahme auf die
nach Abs. 1 aufbewahrungspflichtigen Unterlagen (vgl. Burchert, Die
Information über Steuer und Wirtschaft 2001, 230, 234). Eine Erweiterung
der Prüfungsbefugnisse sollte auch nach dem Willen des Gesetzgebers durch
§ 147 Abs. 6 AO nicht begründet werden (vgl. BTDrucks
14/2683, S. 130). Dieses Verständnis der Vorschrift schließt es
bereits grundsätzlich aus, dass die Finanzverwaltung nach § 147
Abs. 6 AO Einsicht in Unterlagen verlangen kann, die zwar vorhanden sind,
aber vom Steuerpflichtigen nicht aufbewahrt werden müssen.
Mit dieser Auslegung weicht der Senat nicht von dem
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 13. Februar 1968
GrS 5/67 (BFHE 91, 351, BStBl II 1968, 365) ab. Der BFH hat dort zu
§ 195 AO a.F. entschieden, dass die Vorlegungspflicht nicht auf die
vom Gesetz vorgeschriebenen Bücher beschränkt sei: "Werden im oder
für den Betrieb Bücher oder Aufzeichnungen oder Verzeichnisse
geführt, so unterliegen sie der Prüfung, gleichviel ob ihre
Führung vorgeschrieben ist oder nicht. Auch Aufzeichnungen, die weder durch
Gesetz noch durch die Grundsätze ordnungsgemäßer
Buchführung gefordert werden, unterliegen der Vorlegungspflicht, wie z.B.
Buchungsanweisungen und dergleichen, wenn sie tatsächlich geführt
werden." Es kann offenbleiben, ob sich die nach heutigem Recht aus
§ 200 Abs. 1 Satz 2 AO ergebende Vorlegungspflicht auch auf
(vorhandene) Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere
Urkunden bezieht, die keiner gesetzlichen Aufbewahrungspflicht unterliegen (a.A.
Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 200 AO Rz 8; Eckhoff in HHSP,
§ 200 AO Rz 96 ff.; Drüen, Steuerberater-Jahrbuch
2006/2007, S. 273). Die ebenfalls in § 200 Abs. 1
Satz 2 AO normierte Pflicht, die Finanzbehörde bei der Ausübung
ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO zu unterstützen, ist
jedenfalls davon unabhängig und deshalb getrennt zu betrachten (vgl.
BTDrucks 14/2683, S. 130; unklar: BFH-Beschluss in BFHE 219, 19, BStBl II
2008, 415 Rz 29). Zudem bestimmt § 200 Abs. 1 Satz 2 AO
nicht den Umfang des zulässigen Datenzugriffs, sondern verweist insofern
auf § 147 Abs. 6 AO. Rechtlich ist die Verpflichtung zur
Datenvorlage nicht vergleichbar mit der Verpflichtung zur Vorlage von
Papierdokumenten. Bereits im sog. Volkszählungsurteil hat das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die besondere Eingriffsintensität
hervorgehoben, die beim Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten von Rechts
wegen generell zu beachten ist (BVerfG-Urteil vom 15. Dezember 1983
1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1, 41 f., unter C.II.1.a der
Gründe).
bb) Persönlich verpflichtet, Aufzeichnungen und
Unterlagen nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren, sind auch
Steuerpflichtige mit Einkünften aus selbständiger Arbeit, die
gemäß § 4 Abs. 3 EStG als Gewinn den Überschuss
der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen (vgl. BFH-Urteil
vom 26. Februar 2004 XI R 25/02, BFHE 205, 249, BStBl II 2004,
599; BFH-Beschluss vom 7. Februar 2008 X B 189/07, juris; FG
Hamburg, Urteil vom 22. März 1991 VII 164/90, Entscheidungen der
Finanzgerichte 1991, 636; Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 147 AO
Rz 1, 74; zu den Aufzeichnungspflichten: derselbe, a.a.O., § 141
AO Rz 7; Dumke in Schwarz, AO, § 147 Rz 2a; a.A.: Trzaskalik
in HHSp, § 147 AO Rz 6; Pahlke/Koenig/Cöster,
Abgabenordnung, 2. Aufl., § 147 Rz 5; Schaumburg, DStR 2002,
829, 835). Die allgemeinen Ordnungsvorschriften in den
§§ 145 ff. AO gelten nicht nur für Buchführungs-
und Aufzeichnungspflichten nach § 140 AO und nach den
§§ 141 ff. AO. Insbesondere § 145 Abs. 2 AO
betrifft jegliche zu Besteuerungszwecken gesetzlich geforderten Aufzeichnungen,
also auch solche, zu denen der Steuerpflichtige aufgrund anderer Steuergesetze
verpflichtet ist, wie z.B. nach § 4 Abs. 3 Satz 5,
Abs. 7 EStG und nach § 22 UStG (vgl. Dumke in Schwarz, a.a.O.,
§ 145 Rz 1). Dies wird bestätigt durch § 146
Abs. 5 Satz 1 letzter Halbsatz AO. Die Vorschrift betrifft
Aufzeichnungen, die allein nach den Steuergesetzen vorzunehmen sind, und setzt
die Geltung der Ordnungsvorschriften für solche Aufzeichnungen voraus.
Für die Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 AO gilt nichts
anderes. Es ist kein Grund ersichtlich, Aufzeichnungen, die allein nach den
Steuergesetzen vorzunehmen sind, von der Pflicht zur Aufbewahrung auszunehmen
oder für sie eine spezielle Pflicht zur Aufbewahrung an anderer Stelle als
in § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO zu suchen (so aber Trzaskalik
in HHSp, § 147 AO Rz 6).
cc) Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in
§ 147 Abs. 1 AO wird grundsätzlich begrenzt durch die
Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht. Die Pflicht zur
Aufbewahrung von Unterlagen ist akzessorisch. Das heißt, sie setzt stets
eine Aufzeichnungspflicht voraus und besteht grundsätzlich nur im Umfang
der Aufzeichnungspflicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599;
Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 147 AO Rz 1; Tipke in
Tipke/Kruse, a.a.O., § 200 AO Rz 9; Trzaskalik in HHSp,
§ 147 AO Rz 5; Dumke in Schwarz, a.a.O., § 147
Rz 1; Kuhfus in: Kühn/ v.Wedelstädt, a.a.O., § 147
Rz 1, unklar Rz 25; a.A. Klein/ Brockmeyer, a.a.O., § 147
Rz 5, 11). Eine eigenständige Pflicht zur Aufbewahrung von Unterlagen,
die nicht mit einer Pflicht zur Aufzeichnung von Daten in Zusammenhang stehen,
ist § 147 Abs. 1 AO nicht zu entnehmen. Durch die
Abhängigkeit der Aufbewahrungspflicht von einer im Gesetz angeordneten
Aufzeichnungspflicht wird der Umfang der aufzubewahrenden Unterlagen
sachgemäß begrenzt. Diese Beschränkung trägt dem
Erfordernis hinreichender Bestimmtheit der in § 147 Abs. 1 AO
geregelten Aufbewahrungspflicht ebenso Rechnung wie der von Verfassungs wegen
geforderten Verhältnismäßigkeit der Norm. Erst Recht gilt dies
für den Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten gemäß
§ 147 Abs. 6 AO. Denn das Erheben von Daten hat sich auf das
erforderliche Minimum zu beschränken (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 65, 1,
45 f., unter C.II.2.a der Gründe).
Der Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 AO
und dem Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO unterliegen danach
--ungeachtet der Aufzählung in § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis
Nr. 5 AO-- grundsätzlich alle Unterlagen und Daten, die zum
Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen
Aufzeichnungen von Bedeutung sind. Nicht dazu gehören dagegen Unterlagen
und Daten, die z.B. private, nicht aufzeichnungspflichtige Vorgänge
betreffen, aber auch Unterlagen und Daten, die "freiwilligen", also über
die gesetzliche Pflicht hinaus reichenden Aufzeichnungen zuzuordnen sind. Soweit
sich für sie eine Aufbewahrungspflicht nicht aus anderen Gesetzen ergibt,
können sie vom Steuerpflichtigen jederzeit vernichtet oder gelöscht
werden (ebenso Kromer, DStR 2001, 1017, 1018; Drüen, StuW 2003, 365, 372;
a.A. BMF, Fragen und Antworten zum Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung
--Stand: 22. Januar 2009--, Gliederungspunkt I.10., abrufbar im Internet
unter http://www.bundesfinanzministerium.de).
Aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO ergibt sich
entgegen der Auffassung des BMF nichts anderes. Danach sind auch sonstige
Unterlagen aufzubewahren, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung
sind. Zwar lässt der weite Wortlaut der Vorschrift die Deutung zu, dass
nach ihr ohne Rücksicht auf eine Aufzeichnungspflicht sämtliche
für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen aufzubewahren sind (so wohl
Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 147 Rz 5; Mösbauer in
Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl., § 147 Rz 11; Kuhfus in:
Kühn/v.Wedelstädt, a.a.O., § 147 Rz 10). Dieser Ansicht
ist jedoch nicht zu folgen. Vielmehr ist § 147 Abs. 1 Nr. 5
AO unter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der
Aufbewahrungspflicht im Lichte der im Einzelfall jeweils bestehenden
gesetzlichen Aufzeichnungspflichten einschränkend auszulegen (ebenso
Trzaskalik in HHSp, § 147 AO Rz 25; Drüen in Tipke/Kruse,
a.a.O., § 147 AO Rz 23; Schaumburg, DStR 2002, 829, 833). Danach
müssen bei einer abstrakten Bestimmung der Reichweite der gesetzlichen
Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO nur solche
sonstigen, also nicht unter § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis
Nr. 4a AO fallenden, Unterlagen aufbewahrt werden, die zum Verständnis
und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich
vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind.
dd) Für Steuerpflichtige mit Einkünften aus
selbständiger Arbeit, die gemäß § 4 Abs. 3 EStG
als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die
Betriebsausgaben ansetzen, ist der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht
--und mithin zugleich der sachliche Umfang der Zugriffsbefugnis der
Finanzbehörde nach § 147 Abs. 6 AO-- nach den vorstehend
dargestellten Grundsätzen im Regelfall begrenzt auf solche Unterlagen, die
zum Verständnis und zur Überprüfung der für sie geltenden
steuergesetzlichen Aufzeichnungspflichten, z.B. in § 4 Abs. 3
Satz 5, Abs. 7 EStG und § 22 UStG, von Bedeutung sind (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599; a.A.: kein Zugriffsrecht Tipke
in Tipke/Kruse, a.a.O., § 200 AO Rz 10; Trzaskalik in HHSp,
§ 147 AO Rz 6).
ee) Aus § 146 Abs. 5 Satz 1 AO ergibt
sich im Streitfall keine darüber hinausgehende Beschränkung der
Aufbewahrungspflicht. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist das Recht,
nach § 146 Abs. 5 Satz 1 AO eine bestimmte Form der
Aufzeichnung und der Aufbewahrung wählen zu können, bereits
ausgeübt, wenn sich der Steuerpflichtige entschieden hat, Aufzeichnungen
sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form zu führen und wenn er
die notwendigen Unterlagen ebenfalls in beiden Formen aufbewahrt. In diesem Fall
erstreckt sich auch die Pflicht zur Aufbewahrung nach § 147
Abs. 1 AO (in Abhängigkeit vom Umfang der gesetzlichen
Aufzeichnungspflicht) auf sämtliche vorhandenen Aufzeichnungen und
Unterlagen. Diese hat der Steuerpflichtige auf Verlangen (§ 200
Abs. 1 Satz 2 AO) vorzulegen; im selben Umfang hat er (unter den
weiteren Voraussetzungen des § 147 Abs. 6 AO) den Datenzugriff zu
dulden und die Finanzbehörde dabei zu unterstützen (vgl. dazu auch
BFH-Beschluss vom 26. September 2007 I B 53, 54/07, BFHE 219, 19,
BStBl II 2008, 415).
ff) Aus § 146 Abs. 6 AO ergibt sich entgegen
der Auffassung des FA keine weiter gehende Aufbewahrungspflicht. Danach gelten
"die Ordnungsvorschriften" auch dann, wenn der Unternehmer Bücher und
Aufzeichnungen führt, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, ohne
hierzu verpflichtet zu sein. Es kann dahinstehen, ob eine vom Steuerpflichtigen
freiwillig erstellte Bestandsbuchhaltung, die auch für die Besteuerung von
Bedeutung ist, weil sie der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl.
§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG; dazu BFH-Urteil vom
24. November 1959 I 47/58 U, BFHE 70, 499, BStBl III 1960, 188;
vgl. aber auch BFH-Urteil vom 19. März 2009 IV R 57/07,
BFH/NV 2009, 1298), nicht der Aufbewahrungspflicht unterliegt, weil
§ 146 Abs. 6 AO nur auf § 146 Abs. 1 bis 5 AO
verweist und nicht auf die Ordnungsvorschriften in § 147 AO (so
Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 147 AO Rz 4, m.w.N.). Im
vorliegenden Fall ist § 146 Abs. 6 AO schon deshalb nicht
einschlägig, weil die Klägerin ihren Gewinn nach § 4
Abs. 3 EStG ermittelt, so dass über die dazu erforderlichen
Aufzeichnungen hinaus (z.B. aus internen Gründen) geführte Bücher
und Aufzeichnungen jedenfalls für die Besteuerung der Klägerin nicht
von Bedeutung sind. Für solcherart "freiwillige Aufzeichnungen" gelten
entgegen der Auffassung des BMF weder die Ordnungsvorschriften der
§§ 145, 146 AO noch die Aufbewahrungspflichten gemäß
§ 147 Abs. 1 AO.
c) Bei Anlegung dieser Maßstäbe ist die
Entscheidung des FG nicht zu beanstanden, wonach das FA die ihm durch
§ 147 Abs. 6 AO eingeräumte Befugnis überschritten hat,
indem es von der Klägerin den Zugriff auf "die Sachkonten der Jahre 2002
und 2003" verlangt hat. Die Aufforderung vom 2. Juni 2005 enthält
keine Beschränkung des Verlangens auf Unterlagen, welche die Klägerin
nach den für sie geltenden gesetzlichen Aufzeichnungspflichten aufbewahren
musste. Eine nachträgliche Einschränkung des Verwaltungsakts im Wege
der Auslegung kommt nicht in Betracht.
Zu Unrecht hat das FG allerdings angenommen, das FA habe
dadurch sein Ermessen überschritten. Ermessen steht der Finanzbehörde
insbesondere in der Frage zu, ob und ggf. in welcher Form sie auf Daten Zugriff
nehmen möchte (vgl. Drüen, StuW 2003, 365 ff.;
Pahlke/Koenig/Cöster, a.a.O., § 147 Rz 40). Der sachliche
Umfang der in § 147 Abs. 6 AO gewährten Befugnis wird jedoch
im Hinblick auf den abstrakt zulässigen Gegenstand der Einsichtnahme
abschließend durch das Gesetz vorgegeben und ist darüber hinaus
keiner Ermessensentscheidung zugänglich.
d) Die Sache ist spruchreif. Da das
streitgegenständliche Vorlageverlangen von der gesetzlichen
Ermächtigung nicht gedeckt ist und auch nicht nachgebessert werden kann,
war es rechtswidrig. Das FG hat deshalb den Verwaltungsakt im Ergebnis zu Recht
aufgehoben.