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Verfahrensdokumentation mit Methode

GoBS - Renovierungsbedarf?

Von Siegfried Mack

Die seit 1995 geltenden GoBS, die Grundsätze ordnungsmäßiger dv-gestützter Buchführungssysteme, wurden faktisch nicht beachtet, d.h. von den Buchführungspflichtigen schlicht ignoriert. Der eher akademische Text sperrte sich förmlich gegen eine Umsetzung. Die umfassende Dokumentation des DV-Systemeinsatzes bleibt auf der Strecke. Seit dem 1. Jan. 2002 sind die GDPdU in Kraft und verlangen die Aufbewahrung originär digitaler Daten in maschinell auswertbarer Form – letztlich eine Verschärfung der Aufbewahrungspflichten, um Prüfbarkeit zu gewährleisten und den Geschäftsvorfall nachvollziehbar zu machen. Die nachfolgende Diskussion zielt auf eine Renovierung der GoBS, um diese für den Buchführungspflichtigen anwendbar zu machen und die Datenerhebung nach den GDPdU zu unterstützen.

Siegfried Mack

Siegfried Mack (www.aufbewahrungspflicht.de) beschäftigt sich seit 1985 mit Dokumentenmanagement, Archivierung, E-Commerce, Abbildung von Geschäftsprozessen. Konzepten für GDPdU-Archive, Design und Entwicklung von Systemen für die Verfahrensdokumentation nach GoBS

Motivation

Die GoBS schreiben bei elektronischer Buchführung die Dokumentation des „Verfahrens" vor: System, Organisation, Geschäftsvorfälle, Daten, Systemereignisse etc. Diese Verfahrensdokumentation soll dem Außenprüfer ein schnell fassbares Bild der elektronischen Buchführung des Unternehmens verschaffen und den Geschäftsvorfall nachvollziehbar machen - vom Gesamt-Überblick bis zur der Datenstruktur.

Dem Buchführungspflichtigen stehen der Text des GoBS-Erlasses, zahlreiche Kommentare und die Gliederung des TÜVit/VOI zur Verfügung. Beim Einsatz von Standardsoftware muss ein Teil der notwenigen Dokumentation vom Hersteller (der Standardsoftware) geliefert werden. Die Unternehmen fragen den Hersteller; dieser signalisiert, die Dokumentation zum Produkt genüge den GoBS und der Steuerberater bestätigt, dass das ausreicht. Die Umsetzung der GoBS findet bis - auf wenige Ausnahmen - faktisch nicht statt. Angebote von Dienstleistern zwischen 30 und 50 Manntagen und sind für die meisten Mittelständler prohibitiv.

Der Textaussagen der GoBS sind, abgesehen von der Darstellung einiger elementarer Themen, letztlich so diffus, dass sich kaum ein Prüfer mit dem Steuerpflichtigen hier auf das Diskussionsglatteis bewegen würde. Die lockeren und meist unrichtigen Auskünfte der Steuerberater in Sachen GoBS tun ihr Übriges. Die GoBS sind in der vorliegenden Fassung für das „normale" Unternehmen nicht handhabbar: Sie lassen sich nur mit relativ hohem Aufwand operationalisieren und den Herstellern von Archiv- oder DM-Systemen bescheren sie ganz spezifische Probleme (s. u.).

Ursachenforschung

Wo liegen die Ursachen für die schwache Akzeptanz der GoBS? Die Ursachen sollen einerseits im Text selbst und an den Phänomenen des Einsatzes untersucht werden.

Text der GoBS

Unter einem hermeneutischen Blickwinkel stellen die GoBS ein metaphysisches Konstrukt von Forderungen dar: sehr allgemein, sehr umfassend, aber mit erheblichen Mängeln in Semantik, Ausdruck, begrifflicher Konsequenz sowie Klarheit und - besonders hervorzuheben - Vollständigkeit. Das Ziel, im Kopf des Buchführungspflichtigen eine klare und greifbare Vorstellung über die Verfahrensdokumentation zu erzeugen, wird gründlich verfehlt. Das liegt im Wesentlichen daran, dass Definitionen fehlen und die Disziplin der stufenweisen Abstraktion nicht berücksichtigt wird: ausgehend vom einfachen, phänomenologisch Fassbaren zum Komplexen mit jeweils definierten Begriffen. Die GoBS ermangeln einer Darstellungsmethodik und Didaktik. Ein weiteres Problem wird durch das Fehlen von Modellen und grafischen Darstellungen verursacht.

Die vom TÜVit/VOI zum Standard erklärte Gliederung der Verfahrensdokumentation stellt zumindest einen einigermaßen gelungenen Versuch dar, aus dem Text der GoBS eine vernünftige Struktur herauszupressen. Doch die fast sklavische Anlehnung an den GoBS-Aufbau verhilft, das zeigt die verschwindend geringe Zahl der Anwender, der TÜVit/VOI-Gliederung nicht zu einem durchschlagenden Erfolg. Die Gliederung schafft der Vorstellung des Einzelnen keinen besseren Zugang zu einer konkreten Umsetzung.

Ein weiterer Grund - es handelt sich hier um die oben erwähnte Didaktik - weshalb sowohl die GoBS als auch die TÜVit-Gliederung sich gegen das „Verstehen" sperren, sei hier erwähnt. Beide verstoßen deutlich gegen die uns bekannten Mechanismen der Gnostik des Menschen. Durchweg werden Listen von Dingen verlangt, die eine gemeinsame Eigenschaft aufweisen. Das menschliche Verstehen funktioniert anders. Zunächst identifizieren wir Objekte, im nächsten Schritt deren Eigenschaften und schließlich deren Beziehungen untereinander. Mit Hilfe der Beziehungen werden aus einfachen, phänomenologisch fassbaren Objekten komplexe, d.h. zusammengesetzte Objekte erzeugt. Eine verblüffende, aber seit Adele Goldberg wohlbekannte Analogie zur Entwicklung der Objektorientierung, die ja schließlich mit Kindern entwickelt wurde. Ob nun die gnostischen Mechanismen nach Hume, Kant, Wittgenstein oder anderen verstanden werden, der objektorientierte Ansatz ist in jedem Falle eine probate „philosophiefreie" pragmatische Methode, die auch Neurologen mit der „Bildeidetik" unterstützten. Die Aussage des Wittgensteinschen Tractatus, über gewisse Sachverhalte lieber zu schweigen als sie unklar auszudrücken, könnte schon für sich als Leitlinie gelten.

Die zahlreichen Veröffentlichungen von Anwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern machen auf ihre Weise deutlich, wie unscharf diese gesetzliche Vorschrift formuliert wurde. Ein klar formulierter Erlass darf nicht einer Unmenge diffiziler und teilweise widersprüchlicher Interpretationen nach sich ziehen.

Erfreulicherweise sieht die Situation bei den GDPdU wesentlich besser aus. Zwar gibt es auch hier gewisse Unsicherheiten und gelegentlich Interpretationsbedarf. Aber dieser Erlass zeugt von einer unvergleichlich klareren Handschrift und von besserer didaktischer Qualität.

GoBS im Einsatz

Betrachten wir zur weiteren Diskussion ein Beziehungsdiagramm, mit dessen Hilfe aufgezeigt werden soll, welche Situationen beim konkreten Einsatz entstehen.

Prüfer: Der Betriebsprüfer hat den gesetzlichen Auftrag die Unternehmen zu prüfen. Also muss er die GoBS verstehen, um eine konkrete Verfahrensdokumentation zu nutzen, d.h. sich über das Verfahren zu orientieren und eine Prüfung vorzunehmen. Andererseits hat er auch die GoBS-Konformität der Verfahrensdokumentation selbst zu beurteilen. Das bedeutet, dass der Prüfer die Qualität des ihm präsentierten Informationsvehikels durchaus kritisch sehen muss und nicht nur, ob es den vorgesehen Informationszweck erfüllt. Eine zweifellos problematische Situation für den Prüfer. In jedem Fall benötigt er hierfür gründliche Kenntnis der GoBS, um die jeweilige Abbildung (F: Text-GoBS -> konkrete Dokumentation) zu verstehen. Klar ist, dass eine solche Aufgabe nur schwer zu bewältigen ist: ein Werkzeug zu beurteilen und gleichzeitig damit zu arbeiten.

Systemlieferanten: Ebenfalls betroffen von den GoBS sind die Systemlieferanten, die ihren Herstellerbeitrag für die Verfahrensdokumentation liefern müssen. Diesen Teil der Dokumentation muss der Buchführungspflichtige in seine spezifische Verfahrensdokumentation direkt oder per Verweis integrieren. Für Lieferanten bzw. Hersteller von ERP-Systemen gestaltet sich die Bereitstellung der Dokumentation recht einfach, da bei jedem Geschäftsvorfall klar ist, mit welcher Art von Dokument jeweils hantiert wird. Ganz anders liegt der Fall bei Archiv- und DMS-Lösungen.

Diese Systeme „wissen" im Herstellungszustand à priori nicht, mit welchen Arten von Dokumenten sie operieren. Ein Beispiel: die Scan-Funktion bewältigt alle möglichen Arten von Papiervorlagen: Rechnungen, Warenscheine usw. Erst bei der Implementierung wird dies festgelegt. Ähnlich und teilweise noch schwieriger ist die Situation bei den DMS. Hier wird vor Ort kundenspezifisch modelliert (Workflow). Gehen wir davon aus, dass die Verfahrensdokumentation ein abstraktes Modell des DV-Einsatzes beschreibt, so können die Lieferanten der Archiv- und DMS-Lösungen nur ein allgemeines Meta-Modell als Beitrag zur Verfahrensdokumentation liefern; die allgemeingültigen Systemereignisse sind hiervon ausgenommen. Das führt dazu, dass entweder der Systemlieferant oder der Betreiber die Anpassung der Dokumentation, d.h. den Übergang vom Meta-Modell zum Modell durchführen müssen bzw. diese Last dem Prüfer aufbürden.

Unternehmen: Versetzen wir uns nun in die Lage des Unternehmers und der betroffenen Mitarbeiter. Da bei der Erstellung und Pflege im Sinne der Funktionstrennung Mitarbeiter verschiedener Disziplinen beteiligt sind, benötigen alle begriffliche Klarheit: worum geht’s, was ist zu tun? Das geht nicht ohne verbindliche Definitionen und eine Festschreibung des Kontextes, in dem diese Begriffe verwendet werden. Da die Verfahrensdokumentation als sprachliche und evtl. grafische Darstellung und teilweise Modell der Wirklichkeit ein metaphysisches Objekt darstellt, müssen sich die Interpretationen, d.h. die Bilder im Kopf der Beteiligten möglichst eng überdecken.

Der Unternehmer findet in den GoBS keine unmittelbaren Handlungsanweisungen für die Erstellung der Verfahrensdokumentation und wird durch die GoBS nicht in die Lage versetzt den GoBS mit möglichst geringem Aufwand zu genügen.

Das, was sich für die Beteiligten in der Vorstellung gut überdeckt, sind die phänomenologisch wahrnehmbaren Sachverhalte und Objekte: Das Unternehmen, die Organisation, die Abteilungen, die Mitarbeiter und ihre Rollen sowie die spezifischen Systeme. Unter Systemen soll verstanden werden: Software, Hardware, Netze, Firewall, Sicherheitseinrichtungen, Archive etc. und auch Zusammenfassungen von Systemen zu virtuellen Komponenten z.B. alle_unsere_Server. Die nächsten zu beschreibenden Komponenten sind Geschäftsobjekte, also Objekte wie Stammdaten, Journale, Belege, Dokumente und Konten. Hier machen sich bereit unterschiedliche Wahrnehmungen bemerkbar. Die Mitarbeiter aus IT, Controlling und Buchhaltung sehen dies Objekte unter verschieden Gesichtswinkeln. Das bedeutet, jeder stellt gewisse Eigenschaften des betrachteten Objekts in seinen individuellen Vordergrund. Hier muss eine Darstellung gefunden werden, die jedem seinen seine Sicht erlaubt, die aber andererseits vollständig ist für die Belange der Prüfung im Sinne von GoBS und GDPdU. Wesentlich abstrakter und damit komplexer wird es nun beim Verständnis des Geschäftsvorfalls. Der Geschäftsvorfall wird zum Komplex-Objekt, einem zusammengesetzten Objekt: Mitarbeiter, System, Daten, Aufzeichnung, Anweisungen etc. etc. sind die bestimmenden Komponenten. Das Verstehen und Beschreiben dieser Komplex-Objekte wird erleichtert, wenn klar definierte Eigenschaften den Dingen zugeordnet werden. Das gilt für Eigenschaften und insbesondere für Funktionen (Beleg-, Journal- u. Kontenfunktion), die den aus der Objektorientierung bekannten Properties entsprechen. Zum besseren Verständnis der Wirkung und des Verhaltens von Komplex-Objekten kommt man nicht ohne Modelle aus, die uns eine bildhafte Darstellung liefern und den gnostischen Prozess unterstützen: wir verstehen schneller und alle Beteiligten operieren mit demselben Bild.

Die Systemhersteller (s.o.) liefern dem Nutzer ein System, mit dem dieser spezifische Geschäftsvorfälle abwickelt. Hinter diesen Vorfällen verbergen sich die Eigenschaften des Verfahrens, nach dem das System arbeitet. Also sind die Systemhersteller gezwungen, die Regeln dieser Geschäftsvorfälle und die beteiligten Geschäftsobjekte zu beschreiben. Der Hersteller kennt i. A. nicht den Sprachgebrauch des jeweiligen Unternehmens. Also wird er möglichst allgemeingültig und abstrakt beschreiben. Nun haben aber auch die Hersteller unterschiedlichen Sprachgebrauch. Der Nutzer steht dadurch zusätzlich vor der Aufgabe, Dokumentationen unterschiedlicher Terminologie mit seinen eigenen Angaben zu einem einheitlichen Ganzen möglichst homogen zu verschmelzen. Eine völlig überflüssige und noch dazu kostspielige Aufgabe.

Postulate

Wie könnte ein zeitgemäßer und pragmatischer Ansatz zur Neugestaltung der GoBS aussehen, welche Forderungen müsste er erfüllen? Fassen wir nun die aus der obigen Diskussion sich ergebenden Forderungen an einen neuen GoBS-Ansatz in Form von Postulaten zusammen.

  • Verbindliche Definition der verwendeten Begriffe mit Kontextbeispielen für den Gebrauch – Festschreibung einer verbindlichen Terminologie
  • Einführung des Dokumentations-Objekts, das durch Zuordnung von Eigenschaften und Funktionen (Methoden wie Export, Zugriff etc.) erzeugt wird
  • Nutzung grafischer Darstellungen - Bildung von Modellen
  • Phänomenologischer Methode zur Darstellung von Objekte und Modellen
  • Stufenweise Abstraktion durch die Erzeugung von zusammengesetzten Objekten
  • Einheitliche Vorgaben für System-Hersteller und System-Nutzer
  • Vollständigkeit der Forderungen bzgl. Eigenschaften und Funktionen
  • Verwendbarkeit für Dokumentation in Papierform oder elektronisch
  • Vorlage eines didaktisch orientierten Metamodells für die Verfahrensdokumentation, d.h. einer generischen Konstruktionsvorlage für konkrete Dokumentationen
  • Funktionstrennung für die Bewertung und Nutzung der Verfahrensdokumentation durch den Prüfer (evtl. Zertifizierung der Konformität durch Wirtschaftsprüfer/Steuerberater)

Umsetzung

Das untenstehende Diagramm zeigt einen möglichen Ansatz für die Identifikation und Strukturierung der Dokumentationsobjekte. Auf den untersten beiden Ebene befinden sich die phänomenologisch fassbaren Objekte. Ein Verweis auf andere Objekte kann auf derselben Ebene oder von einer höheren auf die Objekte in den darunter liegenden Ebenen erfolgen. Alle Dokumentationsobjekte werden mit typischen Attributen versehen. Durch die Zuordnung von Objekt-Verweisen als Pseudo-Attribute werden Komplex-Objekte erzeugt.

Neben den verbalen Begriffsdefinitionen, die für alle Ebenen universell verbindlich sind, gibt es Modelle, die als strukturale Definition mit grafischer Dartellung vorgegeben werden.

Die Methoden sind kurze, benannte Templates zur generischen unternehmensspezifischen Objekterzeugung von klassifizierten Attributen: Export, Import, Ablage, Signatur, Vernichtung etc. Die Verküpfung mit den jeweiligen Objekten erfolgt in elektronischen Systemen wie in der papiergebundenen Dokumentation mit schwacher Datenbindung (kopierte Textreferenz).

Die GoBS-Neu gestalten sich nach dieser Struktur. Zunächst werden in einem Glossar Definitionen und Modelle geliefert. Mit konsequenter Verwendung dieses Vokablulars wird das Ziel der GoBS-Neu redefiniert. Danach werden die einzelnen Ebenen mit ihren Dokumentationsobjekten und jeweiligen Grundforderungen nacheinander dargestellt und zum Schluß die dokumentationpflichtigen Methoden aufgeführt. Auf diese Weise entsteht eine generische Vorlage.

Auf diese Weise werden die vagabundierenden Aspekte der GoBS, die das ständige erstellen von Listen verlangen, als Attribute den jeweiligen evtl. virtuellen Dokumentationsobjekten zugeordnet und die Struktur der GoBS-Neu entspricht in Aufbau und Struktur der durch sie verlangten Verfahrensdokumentation. Die GoBS-Neu werden zu direkten Handlungsanweisungen für die Erstellung und Pflege der Verfahrensdokumentation.

Die gewählte Darstellungsmethodik eignet sich sowohl für die Erstellung und Pflege der Verfahrensdokumentation in Papierform als auch für eine elektronische Umsetzung z.B. als Intranetlösung, die dann auch von Dritten gepflegt werden kann.

Schlussbemerkung

Eine gesetzliche Vorschrift macht nur dann Sinn, wenn der Betroffene sie versteht und auf seine konkrete Situation anwenden kann – ohne Hilfe von Experten und komplizierte Interpretationen. Wer effizient prüfen will, muss für eine klare Vorschrift sorgen, die sich vom Buchführungspflichtigen auch effizient umsetzen läßt.

Dortmund, Januar 2004

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